Jeden Tag gehe ich ins Biiro.
Das behaupten Sie wahrscheinlich auch von sich, falls Sie einen Job haben, aber bei mir trifft es zu, denn ich bin auch samstags und wenn es sein mu ft sonntags da. Ich bin stell-vertretender Leiter der Abteilung Abwicklung und Verwer-tung, und ich habe vor, Leiter der Abteilung Abwicklung und Verwertung zu werden. Das wurde bedeuten: hundert-zwanzigtausend Fixgehalt plus Tantieme plus Dienstwagen (BMW der 3er-Klasse).
Und das ware gut.
Ich erwache, und Marianne, meine Frau, liegt nicht ne-ben mir, aber ihre Seite des Bettes ist noch warm. Im Fern-seher, einem kleinen Sony-Wiirfel, kommt die Wetterfrau ins Bild. Sie strahlt, als ware ihr gerade etwas Wunderscho-nes passiert. Marianne liebt es, gleich nach dem Aufwachen vom Bett aus den Fernseher einzuschalten und dann ins Bad oder in die Kuche zu gehen.
Ich drehe mich auf den Bauch und ziehe mir mein Kissen uber den Kopf.
Marianne ruft: »Du kannst ins Bad. Ich setz schon mal Kaffee auf.«
Ich drehe mich wieder auf den Rticken und betrachte zuerst die Decke, dann den diinnen, etwas schmutzigen Baumwollvorhang vor dem Fenster. Ich denke: Ja, ich ge-hore tatsachlich zu den Leuten, die sich tiber schmutzige Vorhange aufregen konnen. Ich habe mit Marianne dar-iiber gesprochen. Sie hat behauptet, sie konne ihn so oft wa
schen, wie sie wolle, er sei immer wieder sofort schmutzig, wenn sie ihn aufhangt; es liege daran, dafi wir an dieser Strafie wohnen. Im ubrigen - mir das zu sagen, hat sie sich nicht nehmen lassen - konne ich mir meine schmutzigen Vorhange in den Arsch schieben. Sie werden das wahr-scheinlich komisch finden - ich nicht.
Unten geht schon der Berufsverkehr. Stau vor der Ampel an der nachsten Kreuzung. Ich stelle mir vor, wie Sie und Ihresgleichen in Ihren Wagen sitzen, noch ein wenig trau-rig, weil Sie nicht mehr in Ihren Betten sein diirfen, aber auch schon richtig sauer auf den Vordermann.
Ich dusche mich, rasiere mich, kamme mich, ziehe mich an. Ich fange an, ans Bciro zu denken.
Marianne hat Angebote fur Eigentumswohnungen und Hauser aus der Zeitung ausgeschnitten und erlautert sie mir am Fruhstuckstisch. Sie merkt, ich hore nicht zu, und fragt mich, woran ich gerade denke. Es ist tatsachlich dieser abge-droschene Comic-Dialog: »Liebling, woran denkst du gerade?« »Ans Buro.«
Sie hat mir die Frage gestellt, also gebe ich die Antwort. Ich sage: »Ans Biiro.«
Genauer gesagt, ich denke daruber nach, warum mir Rumenich angekcindigt hat, mich heute in der Kosiek-Sache sprechen zu wollen. Ich frage mich, ob es sich vielleicht um eine kleine Intrige handelt, die sich auf meine Position aus-wirken, meinen Marktwert verandern konnte. Aber es ist hichts, was mich^wirkli® beschaftigt7niir eine Kleinigkeit.
Marianne und ich geraten von einer Sekunde auf die nachste in einen erbitterten Streit, weil ich sie - gereizt, wie sie behauptet - gefragt habe, wann ihre Tante Olivia zu Be-such komme. Wie immer bei diesen Streits beschliefie ich, mich von ihr scheiden zu lassen. Wir schweigen uns eine Weile feindlich an, finden dann aber irgendwie sehr plotz-lich in ein normales Gesprach zurcick. Es geht wieder um
Immobilien. Ich mufi los. Ich sage: »Ich wollte noch was sagen; habs vergessen. Ich ruf dich an.«
Glauben Sie jetzt nur nicht, meine Tage wfirden beschis-sener anfangen als Ihre. Seien Sie einfach ehrlich, dann kann ich mir weitere Worte dazu sparen.
Ich mag meinen taglichen Weg zur Arbeit. Er ist lang ge-nug, um sich auf ihm fiber die kommenden Dinge klarwer-den zu konnen, aber zu kurz, um mich zu langweilen.
Marianne beklagt sich fiber das Viertel, in dem wir woh-nen, es ist ihr zuwenig »reprasentativ«. Ich schatze es, weil hier sogenannte einfache Leute wohnen. Die einfachen Leute erkennt man daran, dafi sie in den kompliziertesten Verhaltnissen leben. Dauernd sind sie mit der Beschaffung von Geld beschaftigt. Und weil sie keine oder keine gut-bezahlten Jobs haben, denken sie sich immer neue verhang-nisvolle Methoden aus, um an welches zu kommen. Natiir-lich haben sie keine Ahnung vom Geschaftemachen und lassen sich vom erstbesten dahergelaufenen Betrfiger fibers Ohr hauen. Ihr Leben ist bestimmt von Schulden und von den Lfigen, die sie zu diesen Schulden erfinden miissen. Erste Regel in meinem Geschaft: Wer Schulden hat, lfigt1. Immer.